Die Welt um mich herum in Fotos und Texten

Monat: Mai 2021

Die Impfung, Teil 4

Als ich Anfang März geimpft wurde, sagte mir der Arzt, daß sich der zweite Termin um drei Wochen nach hinten verschieben würde und ich mich deswegen mal bei der Stadt erkundigen solle.

Da die Impfhotline allgemein sehr schlecht erreichbar ist, habe ich es zur Kenntnis genommen und mich nicht darum gekümmert. „Wenn die was von mir wollen, sollen sie sich halt melden.“ Und tatsächlich erhielt ich Ende März ein Mail mit dem neuen Termin. „Na bitte, geht doch!“ dachte ich.

Vor vier Wochen hörte mein Frau dann im Lokalradio, daß Zweitimpfungen nicht mehr im Impfzentrum verabreicht werden, sondern von bestimmten niedergelassenen Ärzten. Die Webseite der Stadt erklärte allerdings, daß es nur für Personen unter 60 Jahren gelte, für über 60 jährige solle sich nichts ändern.

Vor drei Wochen hieß es, daß jetzt auch Personen über 60 für die Zweitimpfung zu einem niedergelassenen Arzt müssen. Dieser würde sich per Email melden.

Da meine Zweitimpfung inzwischen nur noch zwei Wochen entfernt ist und ich immer noch keine Info habe, wo und wann ich erscheinen soll, habe ich heute nochmal auf der Webseite der Stadt nachgesehen. Und da stand, daß ab Juni Personen über 60 Jahre doch wieder im Impfzentrum die zweite Spritze kriegen. Hoffentlich bleibt es jetzt dabei!

Fazit: Chaos ist noch eine milde Umschreibung…

Montag Morgen

Nach dem sehr warmen Sonntag ist es angenehm kühl.

Über den Parkplatz am Aldi schrillt ein Einbruchalarm.

Ein Streifenwagen fährt vorbei.

Der Altpapiercontainer wurde gerade geleert. Man muss auch mal Glück haben.

In der Warteschlange beim Bäcker stehen verschlafene Gestalten. Nur der Metalhead vor mir scheint wach zu sein. Zumindest bewegt er seinen Kopf im Takt der Musik, die aus seinen Kopfhörern dröhnt.

Langsam bereitet sich die Stadt auf die Arbeitswoche vor.

Erlebnisse Anfang Mai

Ich verlasse das Haus für einige Besorgungen. Das Auto warnt mich: „3,5° Außentemperatur, Gefahr von Glätte“. Das ist genau das, was man am 5. Mai hören möchte.

Mein erstes Ziel ist die Innenstadt, das Parkhaus des Konsumtempels (neudeutsch „Shopping Mall“ genannt). Die erste Ebene ist gut belegt, auf Ebene 2 ist es so leer, daß man entspannt Fußball spielen könnte.

Auf der Ladenstraße dudelt die übliche Musik leise vor sich hin. Nur wenige Leute schlendern durch die Gänge, die meisten Geschäfte sich geschlossen oder verlangen eine Terminabsprache zum Betreten. DM und Supermarkt lassen ihre Kunden jedoch weitgehend unbehelligt eintreten.

Ich erledige schnell meine Besorgungen und verlasse diesen geisterhaften Ort.

Nächster Halt: Getränkemarkt.
Vor den Pfandautomaten herrscht etwas Gedränge. Drei Jugendliche mit zwei Einkaufswagen, die randvoll mit Leergut gefüllt sind, blockieren zwei Automaten. Wer am Dienstag Mittag mit soviel Leergut dort steht, muss aber ein sehr anstrengendes Wochenende gehabt haben.

Ein Typ steht in der Mitte zwischen den Wagen und reicht die Flaschen genervt an seine Kollegen, die sie einwerfen. Irgendwann expoldiert er „Ey, Altaa! Bist du behindert oder was? Nächste Mal kaufst du Kasten, nich lose!“
Ich muss mich echt beherrschen, um nicht lauthals loszulachen. Es ist so klischeehaft.

1. Mai 1921

Heute wäre Vater 100 Jahre alt geworden. Er wollte damit seine Tante einholen, die kurz vor ihrem 101. Geburtstag gestorben war. Leider hat er sein Ziel nicht erreicht.

Geboren und aufgewachsen zwischen den Weltkriegen, hat er wohl eine gute Kindheit gehabt. Zusammen mit vier Schwestern, den Eltern und seiner geliebten Großmutter wuchs er am Rande der Großstadt auf.

Natürlich haben die Jungs auch damals schon viel Unfug getrieben. Und einmal ist Vater gegen die ausdrückliche Anweisungen seiner Mutter über eine Mauer geklettert oder darauf balanciert, hat dabei das Gleichgewicht verloren und ist gefallen.
Da er den Zorn der Mutter fürchtete, hat er nichts gesagt und seine Schmerzen runtergeschluckt. Der Erfolg war, daß er durch dieser Verletzung bis zu seinem Lebensende immer mal wieder Probleme mit dem Knie hatte.
Deswegen hat er uns Kindern später beigebracht, egal welchen Blödsinn wir angestellt hatten, wir konnten jederzeit alles ohne Angst vor Strafe den Eltern beichten.

Der größte Einschnitt in seinem Leben war sicher der Einzug zum Militär mit Anfang Zwanzig. Er erlebte dort Kameradschaft, Zusammenhalt und die Schrecken des Krieges. Nach Ausbildung zum Flak-Schützen ging es über Italien und Jugoslawien bis nach Griechenland. Er hat nicht so viel über die Zeit gesprochen, doch einige Erlebnisse ließen ihn nicht los und er hat mir im Laufe der Jahre davon erzählt.

So wurde auf dem Weg durch Jugoslawien ein Fahrzeug seines Konvoi durch einen Sprengfalle beschädigt. Der Wagen wurde zur Reparatur ins nächste Dorf geschleppt und die SA erfuhr von dem Vorfall.
Sie trieben ein paar Bewohner zusammen, die Vater und seine Kameraden bewachen mußte. Es waren einfache Leute, Bauern, die unter den Folgen des Krieges litten. Durch Vaters „Unachtsamkeit“ entkamen zwei dieser Leute und die Truppe erhielt eine Standpauke eines SA Offiziers. Man holte Ersatz und später erfuhren sie, daß man die Menschen zur Abschreckung und Vergeltung für den Schaden aufgehängt hatte.

Kurz vor Ende des Krieges, lagen sie in Griechenland 24 Stunden unter russischem Beschuss. Die versprochene Hilfe kam nicht und etliche von Vaters Kammeraden starben an diesem Tag.

Diese und ähnliche Erlebnisse machten aus ihm einen überzeugten Pazifisten und er engagierte sich in der Gemeinde und bei der Telefonseelsorge.

Vater hatte eine einzigartige Gabe: unter seinen Händen erwachten defekte Kleingeräte (Wanduhren, Kassettenrekorder, Radios, und ähnliches) wieder zum Leben. Oft sahen die Sachen etwas anders aus als vorher, hatten zusätzliche Schalter, Buchsen oder Anschlüsse für Batterien, aber sie funktionierten perfekt und jahrelang weiter.

So haben wir Kinder gelernt, daß man seine Sachen pfleglich behandelt und schätzt und kaputte Dinge nicht direkt weggeworfen werden müssen, sondern man sich erstmal um eine Reparatur bemüht.

Sein ganzes Leben war Vater aktiv, pflegte den Garten, reparierte im und am Haus viele Sachen. Auch als Rentner legte er die Hände nicht in den Schoß: er lernte Funken mit allen dazu gehörenden Lizenzen und begann sich in die Welt der Computer einzuarbeiten.

Daneben waren Vater und Mutter viel auf Reisen: Griechenland, Frankreich, Schweiz, Kreta und viele Orte in Deutschland waren ihre Ziele. Und als Mitglieder bei den Naturfreunden legten sie manchen Kilometer zurück.

Auch wenn er in den letzten Jahren durch Mutters Krankheit und vor allem nach ihrem Tod langsam seinen Lebensmut verlor, kann man mit Recht sagen, daß mein Vater ein erfülltes Leben hatte.

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